Woran liegt es, dass wir mit Kritik schlecht umgehen können? Und warum fällt es uns so schwer, Kritik zu äußern?
Betrachten wir einmal folgendes Szenario:
Peter und Maria sind seit etwa fünf Jahren Kollegen und arbeiten seit einem Jahr gemeinsam an einem für das Unternehmen sehr wichtigen Projekt. Beide sind darüber hinaus jedoch auch mit einem jeweils anderen Projekt beschäftigt, welches betreuungsintensiv und in der Abstimmung mit anderen Abteilungen zeitaufwändig ist.
Da Peter sehr verantwortungsbewusst ist, legt er Wert darauf, sich regelmäßig und eng mit Maria über Einzelheiten abzustimmen, die das Projekt betreffen.
Das nervt Maria, weil sie die Zeit lieber nutzt, um – wie sie es nennt – „produktiver“ zu arbeiten.
Schon bevor sich die beiden zum Austausch treffen, knistert es in der Luft…
Maria denkt: „Oh Gott, jetzt erzählt er mir gleich wieder, was er alles letzte Woche erledigt hat.“
Und Peter denkt: „Wenn Sie heute wieder so kurz angebunden ist, dann platzt mir der Kragen!“
Für den weiteren Verlauf der Zusammenarbeit gibt es zwei Möglichkeiten: entweder gehen nach dem Meeting beide wieder an ihre Tätigkeit und sind dabei total frustriert. Oder einer von beiden ergreift die Initiative und spricht an, was ihn stört. Doch wie geschieht das am besten?
Wie können wir Kritik äußern, ohne den anderen zu verletzen? Wie schaffen wir es, dass der andere nachvollziehen kann, was in uns vor sich geht und, dass wir uns eine (Verhaltens-)Änderung von ihm wünschen?
Sehen Sie Kritik als einen Verbesserungsvorschlag
„Die meisten Menschen wollen lieber durch Lob ruiniert, als durch Kritik gerettet werden“, sagt eine US-amerikanische Redewendung, in der viel Wahrheit steckt.
Eine angemessen vorgetragene Kritik kann jedoch als eine Form von Wertschätzung verstanden werden. Denn der Kritiker signalisiert Ihnen damit, dass Sie ihm nicht egal sind. Durch Kritik haben Sie die Möglichkeit, sich in Ihrem Verhalten weiterzuentwickeln.
Zu beachten ist dabei jedoch, dass jeder Mensch eine unterschiedliche Wahrnehmung hat. Außerdem kommt es auch darauf an, wie die Kritik gesendet wird. Denn es gilt: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch zurück“. Wenn wir unfair und im Angriffsmodus sind, sollten wir uns nicht wundern, wenn wir auf taube Ohren oder gar auf Gegenwehr stoßen.
Kritisieren Sie, ohne zu verletzen
Häufig reagieren wir auf Kritik emotional: Wir fühlen uns persönlich angegriffen, sehen unsere Arbeitsleistung als nicht gewürdigt. Haben vielleicht sogar Angst davor, „nicht beliebt“ zu sein. Je kleiner unser Selbstwertgefühl ist, umso stärker sind wir verletzt, wenn wir kritisiert werden.
Da wir als Sender der Botschaft oft nicht richtig einschätzen können, in welcher Verfassung unser Gegenüber gerade ist, tun wir Gutes daran, uns auf die sachliche Ebene zu fokussieren.
Was genau stört uns, was wollen wir geändert haben, was konkret haben wir in einer bestimmten Situation wahrgenommen? Um dabei nicht in den Angriffsmodus zu rutschen, bleiben wir am besten mit der Schilderung bei uns selbst. Senden Sie Ich-Botschaften: „Mir ist aufgefallen / ich habe das Gefühl Du warst bei unserem Meeting nicht ganz bei der Sache.“ Diese Aussage klingt weniger scharf als „Immer bist Du abgelenkt und mit den Gedanken wo anders.“. Mit dieser Verallgemeinerung ist ein Streit beinahe vorprogrammiert.
Und damit sind wir auch schon beim nächsten wichtigen Punkt: Vermeiden Sie allgemeine Aussagen wie etwa „Du bist immer…“ oder „Ständig machst Du…!“ Denn was bedeutet denn „immer“ und „ständig“? Bleiben Sie also sachlich und fokussieren sich auf eine ganz bestimmte Situation, in der Sie etwas konkret beobachtet haben. Hüten Sie sich also vor Interpretationen, denn damit kann der Kritisierte sofort zum Gegenangriff ansetzen und Ihre Äußerung verliert schneller an Wirkung als Ihnen lieb ist.
Weitere Vorteile von konkreten Beispielen sind, dass der Angesprochene sich leichter in die Situation hineinversetzen und sein eigenes Verhalten reflektieren kann. Sie selbst gewinnen zudem an Glaubhaftigkeit.
Helfen Sie Ihrem Gegenüber auch, indem Sie Ihre Kritik zeitnah äußern (und nicht erst vier Wochen nach dem „Ereignis“ – denn da kann sich keiner mehr erinnern, was war).
Um Ihre wertschätzende Kritik abzurunden verpacken Sie die sachliche Aussage in zwei positive Botschaften – jeweils eine zu Beginn und eine zum Abschluss Ihrer Aussage. Welche Vorteile könnte das haben?
Zunächst öffnen wir die Tür und erhalten die Aufmerksamkeit unseres Gegenübers indem wir beispielsweise mit einem Lob in das Gespräch einsteigen. Damit ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass unser folgendes Anliegen auch wirklich gehört wird.
Die positive Botschaft zum Ende hin können Sie beispielsweise in Form einer Bestärkung formulieren. Etwa wie „ich weiß, Du schaffst das…!“ oder „gerne unterstütze ich Dich…“. Dies fördert die anschließende Kommunikation.
„Um Kritik zu vermeiden: Tu nichts, sag nichts, sei nichts.“
Elbert Hubbard, Schriftsteller
Wie bei fast allem gibt es auch beim Thema Kritik zwei Seiten. In diesem Fall meine ich damit den Sender und den Empfänger. Um wirklich aus der Situation das Beste rauszuholen, ist nicht nur der Sender in der Verantwortung, die Kritik „richtig“ zu verpacken. Sondern es liegt auch am Empfänger, wie dieser damit umgeht und darauf reagiert. Die erste wichtige Regel dabei lautet: zuhören! Und zwar aufmerksam und bis zum Ende. Unterbrechen Sie nicht! Gehen Sie immer davon aus, dass es dem anderen in diesem Moment nicht leichtfällt, die Kritik zu äußern. Geben Sie auch ihm die Chance, sich mitzuteilen!
Die zweite wichtige Regel lautet: Kritik ist eine Sichtweise – und es gibt womöglich auch eine andere. Sollten Sie dem Feedback des anderen nicht zustimmen, signalisieren Sie höflich, dass Sie eine andere Sichtweise haben. Achten Sie hier wieder auf eine sachliche Schilderung und Benutzung von Ich-Botschaften.
Wagen Sie den positiven Neustart!
Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es immer besser ist, den Gesprächspartner mit wertschätzender, authentischer Kritik zu konfrontieren, als den Unmut herunterzuschlucken und „das Fass“ dadurch irgendwann sprichwörtlich „zum Überlaufen zu bringen“.
Oft können wertschätzend geführte, klärende Kritikgespräche für beide Parteien sogar sehr augenöffnend und beziehungsfördernd sein. Ich konnte so regelrecht positive „Neustarts“ der Zusammenarbeit mit Kollegen erleben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen den nötigen Mut und das kommunikative Feingefühl, um zukünftig in frustrierenden Arbeits- und Gesprächssituationen den ersten Schritt zu wagen und die Situation zu verbessern!

Herzliche Grüße
Brigitte Goldschmid
Dale Carnegie Business Coach